
„WAS IST EIGENTLICH MALEPOP?” – IM GESPRÄCH MIT GURR ÜBER GIRLBANDS, DAS NEUE ALBUM UND JOSEPH GORDON-LEVITT
Man könnte sagen, die Musik hat ein Problem. So experimentierfreudig, vielfältig und zugänglich sie sich im 21. Jahrhundert als künstlerische Disziplin gibt, so sehr scheint Talent doch in besonderer Weise artikuliert werden zu müssen, sobald es „weiblich“ ist. Girlbands machen Girlpop oder Girlrock – und allein mit diesem Fingerzeig verleihen selbst einschlägige Musikmagazine einem bloßen Fakt Ereignishaftigkeit.
Davon singt das Berliner Duo Gurr nicht nur ein Lied, sondern vereint auf dem vor wenigen Wochen veröffentlichten Debütalbum „In My Head“ eine originelle Sammlung aus Powerpop-Garagerock – doch bitte ohne Präfix. Bereits seit 2012 machen Andreya Casablanca und Laura Lee gemeinsam Musik, nachdem sie sich während ihres „American Studies“ Kurses an der Universität kennengelernt haben. Genauso klingt der Sound auf ihrer ersten EP „Furry Dreams“ gute drei Jahre später dann auch: ein bisschen nach American West Coast Sonnenschein, ein bisschen nach Londoner Punkrock Platzregen, zusammen mit Tempo, Teen Spirit und Rebellion. Damit spielen sie sich deutschlandweit durch jede legendäre Konzertlocation, stecken mit ihrer Euphorie eine schnell wachsende Fanbase an und spielen als Vorband von Peaches, Kakkmaddafakka und Jimmy Eat World.
Auch der Longplayer „In My Head“ klingt erfrischend rockig, trotz oder genau weil inzwischen mehr Pop zwischen den Strophen mitschwingt. Casablanca und Lee sind erwachsener geworden und das bedeutet oft eben auch neben The Black Lips, Black Rebel Motorcycle Club, The Breeders und Savages musikalisch auch Taylor Swift und Justin Bieber schätzen zu wissen.
Vor einem halben Monat ist euer erster Longplayer „In My Head“ erschienen – wie fühlt ihr euch?
Laura: Ziemlich überwältigt. Wir haben nicht damit gerechnet, dass unsere ersten beiden Singles und das Album solche Wellen schlagen würden. Jede Woche kommt ein neuer Kracher. Ich meine: Wir spielen nächstes Jahr auf dem SXSW Festival in Austin! Das ist alles schon verrückt. Nur das ZDF Frühstücksfernsehen hat sich noch nicht zurückgemeldet.
Wovon handelt „In My Head“?
Andreya: Grob gesagt: Was uns beiden in den Köpfen herumschwirrt und kreiert wird, gesammelt auf einer Platte.
Laura: Genau, jeder Song erzählt eine eigene Geschichte. Viele Songs handeln von Charakteren, die uns faszinieren. Manche stammen aus Filmen oder Radio-Features und einige kennen wir selbst. Da ist zum Beispiel der Song „Computer Love“, der von einem Hacker handelt, dem das FBI ein Computerverbot auferlegt. Oder der Song „#1985“ – er handelt von einem Typ, der jeden Abend in unserer Lieblingsbar in Berlin abhängt und immer als letztes nach Hause geht.
Wie war die Arbeit am Album und der Aufnahmeprozess im legendären Funkhaus Berlin für euch?
Laura: Es war keine besonders Rock’n’Rollige Zeit. Ich glaube, wir haben kein einziges Mal Alkohol im Studio getrunken. Wir waren oft erkältet, weil wir so viel gearbeitet haben – in einigen Songs hören wir das immer noch ein wenig an unseren nasalen Stimmen. Insgesamt waren wir wirklich ziemlich fokussiert: Wir hatten hart für das Geld gearbeitet und wollten das Beste herrausholen.
Ihr habt nicht nur ein ausgesprochen tanzbares Album geschaffen, sondern auch – mithilfe eines Aufrufs an eure Fanbase – euer eigenes Genre: First Wave Gurrlcore. Wie klingt das für euch?
Laura: Ich versuche es mal so: First Wave Gurrlcore klingt nach wavigem Garage-Rock von zwei Frauen, die sowohl Taylor Swift als auch The Who mögen.
Was war der erste Song, den ihr je geschrieben habt und wovon handelte er? Spielt ihr ihn immer noch?
Laura: Ich wollte Andreya davon überzeugen, mit mir eine Band zu gründen und habe ihr den Song „Where did you go?“ vorgespielt. Sie meinte dann, auf sowas hätte sie keinen Bock.
Andreya: Wir sind dann aber zusammen in einen noisy Proberaum gegangen in Berlin, Laura hat Schlagzeug gespielt, ich Gitarre, und dann entstand “Super Tired” – ein Song, den wir heute sogar noch im Set spielen. Damals haben wir ihn vom Sound her clean gehalten, heute überladen wir ihn mit Fuzz. Immer noch einer unserer Lieblingssongs!
Es gibt einen Song, den man zurecht als legendär bezeichnen könnte: Joseph Gordon-Levitt. Wie kam es dazu?
Laura: Andreya und ich sind ziemlich planlos ins Kino gegangen und hatten Lust auf eine Komödie. Auf dem Plakat zu dem Film 50/50 stand: „Feelgood Komödie des Jahres“. Das war leider absolut irreführendes Marketing, denn Andreya und ich haben beide total geheult in dem Film. Joseph Gordon-Levitt erkrankt an Krebs und wird von seiner Freundin verlassen. Irgendwie haben wir uns danach darüber unterhalten, dass es so weird ist, wenn Schauspieler sich die Haare abrasieren, blass schminken und eine Person verkörpern, die Krebs hat.
Andreya: Wir haben JGL einige Male angetweeted, aber leider hat er unseren epischen Song-Biopic noch nicht gewürdigt.
War und ist es für euch als weibliche Musikerinnen immer noch schwieriger, ernst genommen zu werden als männliche Kollegen?
Laura: Leider wird man als Frau in der Musik immer noch anders behandelt und nach anderen Maßstäben gemessen. Wenn Männer Musik machen, sind sie eine Band. Wenn Frauen Musik machen, sind sie eine Girlband. Und wenn du es dann schaffst, durch harte Arbeit und vielleicht auch etwas Talent, dann sagen dir die Leute hinterher, dass du nur erfolgreich bist, weil du den „Frauenbonus“ hast. Wir regen uns dann einen Tag lang darüber auf, aber dann ist es uns auch ziemlich schnell wieder egal. Es gibt Gott sei dank auch viele Menschen, die nicht so engstirnig sind.
Andreya: Ich habe mich total über das Review im Rolling Stone gefreut und lese dann: “Girlpop”. Was ist dann Malepop? Das Etikettieren durch andere nimmt manchmal absurde Formen im Musikbusiness an. Eine Freundin von mir, die Bands bucht, wurde von einem Musiker als “Girl-Promoter” betitelt. Das zeigt eben auch, wie unterrepräsentiert Frauen im Musikbusiness sind.
Wie geht ihr mit der Bezeichung „Girlband“ um?
Laura: Ich finde, wenn man „Girlband“ sagt, muss man auch „Boyband“ sagen. Leider wird dieses Aufdecken des Geschlechts nur bei Frauen gemacht und dadurch werden sie in eine Außenseiterrolle gedrängt.
Andreya: Gleichzeitig heben Leute eben gerne das “Spezielle” einer Band hervor. Freunde von uns aus Tel-Aviv bekommen bei Konzerten immer ein „(Israel)“ hinter den Bandnamen, obwohl die Herkunft sonst bei keiner anderen Band steht. Diese Dynamik ist ein schwieriges Thema.
Verbringt ihr viel Zeit mit Mode oder nehmt ihr das Thema eher locker?
Laura: Irgendwie bin ich immer total glücklich, wenn ich EIN gutes Outfit habe und dann ziehe ich es jeden Tag an. Ich könnte mir niemals jeden Tag einen neuen Look überlegen. Gerade liebe ich meine Jeansjacke und eine 1€-Cap auf der „Oldtimer Treff Bremen“ steht.
Andreya: Ich denke, ich bin immer noch nicht aus der Rumprobier-Phase raus. Ich hab keinen extravaganten Stil, aber wenn ich etwas trage und mir auch nur minimal unsicher bin, muss ich mich tausend Mal umziehen. Mode ist uns aber auf jeden Fall wichtig – Ästhetik spielt ja nicht nur im Sound eine Rolle.
Weibliche Musikerinnen stehen ja unter einem größeren Druck, gut auszusehen. Wie geht ihr damit um? Wie kritisch seid ihr mit Bildern oder Videos, die von euch gemacht werden?
Laura: Es regt uns einfach auf. Es kommen wirklich Leute zu unseren Konzerten und haben die Dreistigkeit, uns zu sagen, sie seien nur gekommen, um zu schauen, wer von uns beiden süßer aussieht. Das ist eklig und dumm.
Andreya: Wir sind nicht weniger kritisch mit unseren Bildern und Videos als unsere männlichen Kollegen. Ich denke, viele Bands haben eine Idee und Vision, wie sie klingen und aussehen wollen, und gehen demnach kritisch mit visuellem Output um – das ist der einzige Druck, den ich nachvollziehen kann.
Welche Bands hört ihr derzeit rauf und runter?
Laura: Gerade höre ich viel Parquet Courts und Television.
Andreya: Terry aus Australien haben letztens in Berlin gespielt. Ich habe es leider nicht hin geschafft, aber dann die Platte bei einer Freundin gehört – und das dann 20 Mal oder so.
Wer oder was hat euch in eurem Leben ermutigt und was könnt ihr anderen Gurrls davon mit auf den Weg geben?
Andreya: Biografien von Personen und Bands inspirieren mich immer wieder. Laura und ich haben auf dem Reeperbahnfestival die neueste Blur-Doku gesehen und wir waren danach ganz hibbelig und motiviert. Menschen versagen, raffen sich wieder auf, haben Pech, haben Glück – alles kann passieren und ist auch OK so. Mein Rat an andere Gurrls wäre: Macht es. Als ich jünger war, hatte ich oft das Gefühl, dass mir etwas fehlt und ich mich zu Tode langweile, während alle aufregenden Sachen „da draußen“ passierten – bis ich dann einfach nach „da draußen“ gegangen bin.
Von Lola Fröbe