
“MODE SOLLTE FREIHEIT BEDEUTEN!”
INTERVIEW MIT DESIGNERIN SOFIE ANDERSSON
Die Designerin Sofie Andersson gründete 2015 das Lingerie-Label Anekdot. „Ich war unzufrieden mit der sozialen Ungerechtigkeit und den Umweltschäden, die die Modeindustrie in Produktion und Vermarktung kausiert“, erklärt Sofie. Deswegen fing sie an, sich nach ihrem Studium in Florenz für Sustainable-Fashion zu interessieren. Neben einem Konzept, das Nachhaltigkeit und „Green-Living“ unterstützt, soll Anekdot Frauen dazu zu inspirieren selbstbestimmt und mutig zu sein.
Als wir Sofie in ihrem Atelier treffen, sind gerade die Vorbereitungen für ihr erstes Video-Projekt abgeschlossen. „Der September wird ein aufregender Monat für Anekdot” Bei Holunderlimonade aus der schwedischen Heimat gibt die Designerin dann exklusive Einblicke in ihr Studio. Auf einem hohen Nähtisch liegen gut sortiert erste Schnittmuster, die tief stehende Sonne fällt durch die Fenster und taucht die zwei Nähmaschinen, mit denen alle Kollektionen in Handarbeit umgesetzt werden, in ein besonderes Licht. Trotzdem designt Sofie lieber nachts. „Bei Dunkelheit kann man sich ganz einfach konzentrieren. Alles Unwichtige versinkt im schwarzen Nichts. Es wird für einen Moment unwichtig!“ Um den Moment geht es auch in den Lookbooks, die Sofie online in kleinen „Voyages“ präsentiert. „Die Idee, die Kollektionen als Momentaufnahme zu shooten, war anfangs nur ein kurzer Gedanke auf einem Zettel.“ Sie deutet auf die vielen Notizen, die die Wände bedecken. Manche sind auf Schwedisch, andere auf Englisch oder Italienisch formuliert. „Ich bin in Schweden geboren, habe in Florenz studiert und dann in London gearbeitet. Die kulturellen Eigenheiten der Städte sind auch Teil des Signature-Looks von Anekdot.“ Neben dem Look zählen für Sofie aber auch die Statements, die sich mit Mode setzten lassen. Im Interview erzählt sie, warum nachhaltiges Design in Berlin so gut funktioniert, welche Bedeutung Schönheitsideale heute noch haben und warum Trends Zeitverschwendung sind.
Du bist nun schon seit einer Weile in Berlin. Erinnerst Du dich noch, was dich reizte, hier dein Label zu starten?
Berlin ist entspannt und die Leute haben Lust neue Wege zu gehen, auch modisch. Sie probieren und experimentieren gern. Dabei hat jeder sein eigenes Verständnis von Schönheit. Es geht um Freiheit und Unbeschwertheit. Zwei große Gefühle. Beide verbinde ich mit Berlin. Modisch und menschlich – wobei das ja nah beieinanderliegt.
Du hast auch in Florenz und London gelebt und gearbeitet. Kann man die Sustainable-Fashion-Industrie vergleichen?
Mittlerweile hat sich Berlin als Pionier etabliert. London hält gerade so mit und für Italien ist Upcycling in vielen Bereichen noch ein Fremdwort.
Woran liegt das?
Nachhaltig zu denken ist leider immer noch nicht in den großen Modehäusern angekommen. Es sind eher die eigenständigen, kleinen Designer, die versuchen, Eco-Fashion zu innovieren. Hier in Berlin ist die Nachfrage für solche Designs total stark. Da konzentriert sich dann das Angebot um die Käufer.
Und kulturelle Unterschiede? Wie arbeitest Du mit den Einflüssen verschiedener Kulturen?
Wenn ich designe, mixe ich Momente aus verschiedenen Kulturen. Das passiert ganz unbewusst. Es gibt es die romantischen Spitzenelemente und die Vintage-Muster – das sind eher italienische Momente. Sie stehen im Kontrast zu den minimalistischen und sehr klaren skandinavischen Cuts.

Ein Mix sind auch die Stoffe, mit denen Du arbeitest. Woher bekommst Du die Fabrics, die Du verarbeitest?
Die ganze Modebranche ist eine einzige schnelle Überproduktionsmaschinerie. Es wird wahnsinnig viel Textil verschwendet. Da ich allerdings nur mit hochwertigen Stoffen arbeite, glich es anfangs einer Schatzsuche, feine Spitze und Stoffe zu finden. Mittlerweile habe ich gute Kontakte nach Italien und London und bekomme Tipps, wenn eine Fabrik schließt oder jemand Material verkauft. Auch für die neuen Modelle bekam ich Spitze aus London.
Kannst Du erklären, wie Idee und Material dann zusammenkommen?
Der Trick ist, in Materialien und Schnitten zu denken, statt in reiner Ästhetik. Mode muss ihrer Funktion gerecht werden. Meine Ideen müssen zu den Materialien passen, die Materialien zu den Schnitten und die wiederum zur Körperform. Alles muss sich im Ergebnis unterstützten und zusammenpassen. Gute Unterwäsche verändert das Gehen, die Haltung, die ganze Körpersprache positiv.

Unterwäsche ist immer auch ein Symbol für den Idealkörper den sie formen soll. Garconne-Stil in den Zwanzigern, Korsagen für eine Sanduhrfigur in den Fifties. Gibt es solche Schönheitsideale noch?
Ja, diese Ideale existieren leider noch. Sie sind zwar vielfältiger, aber noch genauso präsent. Meine Designs sollen die natürliche, gegebene Schönheit der Trägerin unterstützen. Ideal ist, wenn Menschen sich nicht verstellen müssen, um gesellschaftlich vermarktete Bilder eines Körpers zu erfüllen. Schönheit und Sexyness sind Attribute, die viel eher jemandem zugeschrieben werden, der sich einfach gut fühlt, als jemandem, der verbissen versucht anderen zu gefallen. Mode sollte Freiheit bedeuten.
Was muss sich verändern?
Obwohl die Körperideale so vielfältig sind, versucht die Modeindustrie mit irrealen Vorstellungen, Regeln zu setzten. Viele Werbekampagnen, gerade in der Lingerie, zeigen illusionäre Ideen. Die machen unsere Vorstellung von „perfekt“ krank. Perfekt sind nicht die Bilder, die keine Makel zeigen. Die sind oberflächlich und glatt. Sie werden sich niemals zu etwas Wichtigem, Berührendem entwickeln. Sie werden nicht wachsen, sondern irgendwann von einem neuen Ideal eingeholt. Das Neue hat das Wachsende ersetzt. Körperideale und Trends sind sinnlose Informationen, die Konsumenten zugespielt werden, damit sie weiter konsumieren. In der Wegwerf-Fashion bleibt der Konsument eine leere Hülle, die immer wieder neu befüllt werden kann mit den glatten, unmenschlichen Idealen der Hochglanz-Kampagnen.
Die Perfektion Photoshop… Mode sollte also Raum lassen für den Charakter?
Ja, Fashion sollte keine Prätention, sondern einfach dafür gemacht sein, etwas erleben zu können.
Also kein Bikini-Modell, mit dem man nicht auch einen Kopfsprung machen kann!
Vorausgesetzt man kann einen Kopfsprung, ja! Um diese Funktionalität zu betonen, fotografiere ich die Kollektionen an Orten, an denen ich mir auch die Trägerinnen vorstellen kann. Die Lookbooks sind kleine Reisen in die Atmosphäre, in der die Trägerin strahlen kann – weil sie sich wohlfühlt und sich frei fühlt.

Eines der Lookbooks heißt „The beauty of isness“. Das hört sich sehr schön an. Worum ging es dir bei dieser Inszenierung?
Um das Gegenteil einer Inszenierung. Um den Moment. Das muss kein besonderer Moment sein, sondern einfach ein Augenblick, in dem man alles um sich herum bewusst wahrnimmt. Ein Moment indem man besonders aufmerksam ist.
Da bekommt „Dress for Occasion“ eine interessante Bedeutung!
Ja, gerade wenn man sich für einen Augenblick kleidet, statt passend zu Ideen einer anderen Personen oder der vermarkteten Ideale, macht es doch besonders viel Spaß! „Dress for mood“ könnte man dazu sagen.
“Do you feel soft and comfy? Flirty and feminine? Bold and brave? That´s an interesting thought to ask yourself while getting dressed.“
Um dieses Gefühl mit der Kamera einzufangen, braucht es eine besondere Verbindung zwischen Model und Fotograf. Wonach suchst du deine Models aus?
Es geht hauptsächlich um die Ausstrahlung des Models und nicht darum, wie es aussieht. Ich bin weder festgelegt auf einen Typ, noch auf einen Körper, den ich featuren möchte. Das Model muss mit seinem Look eine Geschichte erzählen können. Eine Anekdote.
Anekdot Lingerie ist online und in ausgewählten Shops verfügbar.
Größe/ Passform können individuell abgestimmt werden.
Fotos: Marlen Stahlhuth, Caro Siegl, Melina Sutter, Jamiela Wonka
Text: Clara Becking