
LFW ROUND-UP: DIE WORK-IN-PROGRESS-EDITION
Wenn eine Stadt ebenso von den Modeschulen wie bekannten Namen, von den Neuankömmlingen wie etablierten Größen geprägt wird, ist es kaum verwunderlich, dass ständiger Wandel vorprogrammiert scheint. Dass sich der kreative Kosmos immer zwischen diesen zwei Extremen, radikalen Visionen und fest verankerten Traditionen, zu bewegen scheint – und sich dennoch niemals einpendelt. Denn was wäre Stillstand in einer Stadt und Zeit, die doch so viel Veränderung braucht.
Was London als Stimmung stetig zu durchfluten scheint, zeigten die Designer bei der vergangenen London Fashion Week nun auch ganz plakativ in der Mode. Scheinbare Unfertigkeit, zusammengemixte Materialien und eine visualisierte Aufbruchstimmung prägten die Entwürfe, eine textile Reise, die sich vom ersten bis zum letzten Look durchzog – und die teilweise auch die Models, zumindest imaginär, zurücklegen mussten.
J.W. Anderson etwa sprach von einer Odyssee, auf die er seine Trägerin diese Saison schicken wolle, auf den Weg von überfeminin zu androgyn, Arbeitskleidung zu schwingenden Fransen. Was Anderson in der herausgeputzten und hochpolierten Version präsentierte, zeigte Newcomer Designer Matty Bovan in Form einer eklektischen Zusammensetzung, verband Strick, Muster und Glitzer zu scheinbar unfertigen, teilweise fast schon wieder zerstörten Stücken, auf die man wohl Stunden starren und doch keinen Anfang und kein Ende finden könnte.
Neben ihrer scheinbaren Rastlosigkeit verbindet J.W. Anderson und Bovan noch ein weiterer wichtiger Punkt: Beide gehören zu den Designern, die erfolgreich unter dem Schirm der non-profit Organisation Fashion East zeigten: Matty Bovan als Neuzugang, J.W. Anderson in früheren Saisons. Ein Schritt, der einigen der Nachwuchs-Kreativen der Londoner Modeschulen gerade als Ziel vorschweben dürfte, fanden doch auch die Graduate Shows vom Central Saint Martins bis zum London College of Fashion während der letzten Tage statt – mit ihrer Tradition und dem revolutionären Geist fast schon die Inkarnation britischer Mode.
Dabei bilden die Studenten mit ihren Entwürfen wohl den Realität gewordenen Part dieser allseits spürbaren Veränderung – schließlich sind sie diejenigen, denen visionäre Gedanken und textiler Umschwung quasi vorausgesetzt werden, die den progressiven Gedanken der Stadt weiterspinnen sollen. Mit Kleidung gemacht aus Muscheln, wie von London College of Fashion Absolvent Gergei Erdei, oder Central-Saint-Martins Absolvent Peter Movrins silbernen Overalls, die an Raumfahrtsanzüge erinnern, scheinen die jungen Kreativen der Stadt dabei noch einiges an Ideen und Veränderung im Kopf zu haben – für ein Umfeld, dem Ruhe wohl sobald nicht aufs Moodboard kommen wird.
Header Image: Gergei Erdei Autumn / Winter 2017