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“ICH WILL ZEIGEN, WAS WIRKLICH ‘COOL’ IST”: NO SUBSTANCE GRÜNDERIN BECCA DEAKINS IM INTERVIEW

“You’re all style, no substance”, warf man Becca Deakins einst an den Kopf. Für die Britin kein Grund zur Sinnkrise, sondern nötiger Anstoß, um eine Kettenreaktion kreativer Zahnräder in Gang zu bringen. Das Ergebnis: Ein biannuales Independent Magazin mit dem ironischen Titel No Substance. Im Kontext eben dieser Ausgangsphrase positioniert die Fotografin und Kreativ Direktorin dort seit 2015 Fotos und Editorials und begibt sich dabei immer wieder auf eine Reise: Für die erste Ausgabe trieb es sie geographisch nach Tokyo, für das zweite Exemplar inhaltlich in die Welt des Interieurs, das sie Mode und Kultur als dritte Komponente an die Seite stellte. Der Weg ist gesäumt von lo-fi Ästhetik und Kontributoren wie Rankin oder dem Toilet Paper Mag, das Ziel vielleicht noch gar nicht gestochen scharf. Denn wenn Ankommen gleich Abschluss, Vollendung und Perfektion ist, legt Becca Deakins mit No Substance stilistisch lieber noch ein paar Umwege ein.

Wir haben mit ihr über die Magazingründung gesprochen und das Medium Foto vor die Identitätsfrage gestellt – was will es sein, wo gehört es hin, welche Bedeutung hat es heute?

Bei No Substance versteckt sich der Seitenhieb quasi schon im Titel – warst du mit der bestehenden Magazinlandschaft vorher so unzufrieden?

Eigentlich hat mir der Inhalt der meisten Modemagazine gefallen. Bei vielen Publikationen hatte ich aber das Gefühl, dass den Fotos zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird und es eigentlich nur ums Verkaufen geht. Ich habe nie wirklich das für mein Geld bekommen, was ich eigentlich wollte.

Du hast am London College of Fashion Creative Direction studiert, danach direkt angefangen. Wie war der Start?

Mein größtes Problem war damals eigentlich, dass ich kaum Designer, Fotografen oder andere Leute aus der Branche kannte. Es war also schwieriger, diese Personen erst mal an Bord zu bekommen. Auf der anderen Seite war zum Beispiel mein Alter ein großer Vorteil. Weil die Modeindustrie so stark auf Jugend fixiert ist, waren die Leute sofort an meiner Sichtweise interessiert.

Warum wird sich heute anders mit Fotos auseinandergesetzt?

Im 21. Jahrhundert haben die Menschen einfach keine Zeit mehr groß über die Bedeutung oder Symbolik eines Bildes nachzudenken. Also finden es die Marken und Kreativen einfacher, mal eben ein schönes Bild zu produzieren, das der Konsument dann kurzzeitig anschauen und genießen kann. In vielen Magazinen wird dir so sehr schnell klar, welche Labels für ihre Präsenz in Fotostrecken bezahlt haben. Mit No Substance will ich zeigen, was gerade wirklich “cool” ist, und nicht nur das als “cool” inszenieren, für das ich Geld bekommen habe.

Wir werden täglich mit Unmengen an Visuellem überladen – was macht für dich noch eine besondere Aufnahme aus?

Mich interessieren Bilder, die einen bestimmten Moment oder eine Szene einfangen. Wenn das Model einfach nur flach dasteht, spricht mich das nicht an. Außerdem sind die Stimmung und die vermittelten Emotionen wichtig. Deshalb fotografiere ich selbst auch meistens analog, weil ich dieses Raue, Unperfekte mag.

Die Bilder in No Substance zeugen immer wieder von einem dokumentarischen Stil. Warum?

Mir gefällt die schlichte Ästhetik, außerdem erlaubt diese Art der Fotografie auch Anfängern, die noch keine jahrelange Erfahrung haben, ihre Fotos dem Magazin beizusteuern. Am spannendsten finde ich aber, dass die Fotos für den Leser greifbarer sind, weil sie einen tatsächlichen Lebensstil abbilden

Gehen für dich mit diesen realeren Bildern auch realere Models einher?

Ja, ich hoffe auch, die Modeindustrie wird sich in diese Richtung ändern. Menschen, die beispielsweise auf der Straße gecastet wurden, sind nicht nur für mich, sondern auch für die Konsumenten viel interessanter, weil sie sich leichter mit ihnen identifizieren können.

Auf Instagram kuratieren wir unser Leben quasi selbst. Wie gliedert sich deine Vorstellung einer guten Aufnahme in den Kontext der Sozialen Medien ein?

Social Media hat die Art, wie wir Fotos betrachten, vollkommen verändert. Alle teilen schöne Bilder, die keine Bedeutung haben, und wenn wir selbst durch Instagram scrollen, setzen wir uns mit den Fotos auf unserem Screen nur noch für wenige Sekunden auseinander. Ich kann sie dort deshalb gar nicht genießen, weil man kaum an den Gedanken oder der Bedeutung hinter einem Bild teilhaben darf oder teilhaben lassen kann.


Ist das für No Substance, als visuelles Magazin, Fluch oder Segen?

Ich glaube, viele Menschen entscheiden, ob sie No Substance gut finden und kaufen sollen, nur nach den Fotos und Inhalten, die wir auf Instagram oder unserer Website teilen. Die Sozialen Medien spielen heute eine sehr wichtige Rolle im Erfolg jedes Magazins und es ist letztendlich eine einfache, ziemlich freie Art mit den Leuten zu interagieren und zu zeigen, wofür man steht.

Siehst du die Zukunft von Fotos online oder offline?

Ich persönlich liebe Fotos in gedruckter Form, weil ich mir dann wirklich Zeit nehme die Bilder genau zu betrachten. Online scrolle ich meistens nur schnell durch, ohne genau hinzuschauen. Außerdem bewahre ich Magazine immer für meine Sammlung auf, während ich Online-Content vielleicht bei Pinterest speichere, mir aber eigentlich nie wieder anschaue.

Sollten dann vielleicht mehr Menschen ihren Traum vom eigenen Magazin erfüllen – oder gibt es eigentlich schon zu viele?

Einerseits ist es toll, dass es so viele verschiedene Magazine gibt, weil für jeden etwas dabei ist. Wenn ich in einen Buchladen gehe, komme ich jedes Mal mit einem neuen Magazin wieder raus, von dem ich vorher noch nie gehört hatte. Andererseits ist es bei der großen Auswahl und Konkurrenz für die Publikation an sich schwer sich zu einem profitablen Business zu entwickeln. Am wichtigsten ist es schlussendlich immer eine Marktlücke zu finden und sich vorher zu überlegen wer an der eigenen Idee interessiert wäre. Dann kann meiner Meinung nach jedes Magazin Erfolg haben.

Mehr von Becca Deakins und No Substance findet man auf ihrem Instagram Account und der Website von No Substance

Von Trisha Balster